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Уве Топпер (Берлин, Германия)

 

Три заметки по поводу...

(на немецком языке)

Статья состоит из трёх глав:

1) Рецензия на статистический метод Фоменко по определению авторского инварианта литературных произведений прошлого;

2) Критика хронологии и историографии романского региона;

3) Показательный пример хорошо организованной фальсификации истории на религиозной основе.

 

Uwe Topper (Berlin, Deutschland)

 

Eine mathematisch-statistische Methode zur Feststellung der Autorschaft literarischer Erzeugnisse der Vergangenheit.

Rezension des Kapitels

"The authorial invariant in Russian literary texts. Its application: who was the real author of the "Quiet Don"? "

by V. P. Fomenko and T. G. Fomenko, with a commentary by A. T. Fomenko in:Fomenko, Anatoly T. (2005): History: Fiction or Science? Chronology vol. 2 (Delamere, Paris etc.)

 

In diesem hochinteressanten, mit vielen Neuigkeiten gespickten zweiten Band der neuen englischen Buchreihe von Anatoly Fomenko und seinen Mitautoren befindet sich als Annex 3 (S. 425-444) ein Beitrag der Eltern von Anatoly T. Fomenko, Timofei G. und Valentina P. Fomenko (fortan Fomenko Sen. genannt), die von 1974 bis 1981 in Moskau ein Forschungsprojekt durchführten, das erstaunliche Ergebnisse gebracht hat, deren Anwendung für unsere chronologiekritische Analyse eventuell nützlich sein könnte.

Nach einer gekürzten Veröffentlichung 1983 im Institut für sowjetische Geschichte an der Akademie der UdSSR wurde die Gesamtarbeit 1996 herausgegeben.

Es geht um die Erkennung der zweifelhaften oder unbekannten Autorschaft eines russischen Textes mit rein philologischen Mitteln. Das ist nur dann im Prinzip möglich, wenn der Autor schon durch andere Werke hervorgetreten ist und diese Werke in die Analyse einbezogen werden.

Wichtig ist dabei, daß der zu analysierende Text genügend Einzelelemente (Worte, Sätze) enthält, die die individuellen Eigenschaften dieser Texte untersuchbar machen.

Wenn von einem Autor ein größeres Werk oder mehrere Werke gleicher Gattung schon vorliegen, müßte es ein leichtes sein, die häufig wiederkehrenden Begriffe, Wendungen und Eigenarten im Stil statistisch zu erfassen und an Hand dieser Merkmale ein weiteres Werk desselben Autors, dessen Urheberschaft unbekannt ist oder absichtlich verschwiegen wird, zu erkennen. Die Erstellung und Anwendung der Methode bezog sich zunächst nur auf bekannte russische Literaturwerke des 18. bis 20. Jahrhunderts, und wurde erst in einer zweiten Stufe der Entwicklung auf das umstrittene Werk "Der Stille Don" ausgedehnt, wobei eine erstaunliche Entdeckung herauskam.

Eine mögliche Nutzanwendung derselben Methode für uns heute sehe ich darin, daß man mit ihrer Hilfe einen angeblich antiken oder mittelalterlichen Autor mit einem bekannten Renaissance-Schriftsteller oder einem noch späteren Mystifikator identifizieren könnte, wenn das Verfahren für die betroffene Sprache eindeutig ist und eine entsprechend große auswertbare Datenmenge vorliegt. Mit anderen Worten, man könnte versuchen, diese Methode auch für Alt-Griechisch, Hebräisch, Latein und andere Sprachen der sogenannten Quellen oder der frühen historischen Werke modifizieren, um zu versuchen, einige Apokryphen, Mystifikationen und Fälschungen zu entlarven.

Nun ist es ja ein bekannter Trick, daß ein Autor, der sein Werk unabhäbngig von seiner Person unter einem Pseudonym herausgeben will, seinen schon wohlbekannten Stil verändert, gewisse bekannte Reizwörter vermeidet, eigentümliche Wendungen abändert usw. – das kann einen Neugierigen durchaus täuschen. Es gibt aber Sprachelemente, die nicht nur ein sehr intelligenter Pseudonymbenützer übersieht, sondern die auch fast unmöglich bewußt geändert werden können, nämlich kleine Wörtchen wie Präpositionen, Bindewörter, Umstandswörter usw. Dies trifft besonders auf die russische Sprache zu. Die Autoren Fomenko sen. sprechen hier von Inavarianzen, denn es handelt sich um unabänderliche Sprachpartikel, die in beiden Werken des Autors, in dem bekannten wie in dem anonymen, vorkommen müssen.

Auf dieser Erkenntnis, die sich aus den jahrelangen Untersuchungen des Ehepaars Fomenko Sen. herausfilterten, beruht die Methode, die die Fomenkos Sen. erfolgreich auf ein umstrittenes Literaturwerk, den „Stillen Don", anwandten. Die Autorschaft dieses Werkes wurde gemeinhin dem bekannten Schriftsteller Michail A. Scholochow zugeschrieben, aber es wurde auch ebenso lange Zeit inoffioziell angezweifelt, daß es von Scholochow allein stamme. Aus der vorgelegten statistischen Analyse der anderen Werke von Scholochow im Vergleich zum Prosatext „Der stille Don" konnten Fomenkos Sen. mit Sicherheit schließen, daß dieser mit einem Nobelpreis ausgezeichnete vierbändige Roman von einem anderen Dichter geschrieben sein muß.

Schauen wir uns die Vorgeschichte und Idee der Methodenentwicklung an.

Als Vorläufer der Arbeitsweise nennen die beiden Autoren zunächst W. Fuchs (London 1955 und Stuttgart 1968), der Silbenzahl und Satzlänge als eigentümliche Werte eines Textes in Betracht zog, wobei im Titel nur gesagt wird, daß es sich um ältere Texte handelt, die mathematisch analysiert wurden. Demgegenüber hatte schon A. A. Markov 1916 festgestellt, daß natürlicherweise viele der untersuchten Worthäufigkeiten und Verwendungsarten „sich um einen gemeinsamen Wert herum gruppieren müssen aus sprachimmanenten Regeln", was die zweifelsfreie Zuordnung der Autorschaft erschwert. Offensichtlich handelt es sich hierbei um allgemeinere Aussagen, die vermutlich für viele europäische Literatursprachen zutreffen dürften.

Fomenkos Sen. fordern daher, daß als unzweifelhafte Eigenschaften einerseits solche zählen müssen, die einen Autor oder einer kleinen Gruppe gleicher Autoren und vergleichbarer Schriftgattungen gemeinsam sind, und daß sie andererseits bei anderen Autoren nicht in gleicher Weise wiederkehren dürfen. Untersucht und miteinander verglichen wurden also z.B. neun russische Dichter des 19. Jahrhunderts (zwischen 1831 und 1899): über zwanzig Werke von Nikolaj Gogol, fünf von Turgenjew, zwei Hauptwerke von Dostojewski, neun von Tolstoj sowie weniger bekannte Schriften von weiteren fünf russischen Dichtern jener Zeit.

Bei diesen Analysen ergab sich: Als unbrauchbar für die kritische Siebung scheiden sofort alle jene Wörter und Satzbildungen aus, die ein Dichter bewußt wählt, um seinem Stil eine besondere Note zu verleihen. Nur unbewußte Charakteristika kommen für die Beurteilung in Betracht.

Für die Untersuchung müssen zwecks Abgrenzung außerdem eine große Anzahl von Werken verschiedener Autoren oder Gruppen zur Verfügung stehen. Erst ab einer Anzahl von 16.000 Wortbeispielen ist die Aussage statistisch von Belang.

Eine völlige Auswertung aller literarischen Texte, die in Frage kommen, war seinerzeit eine arbeitsmäßige Unmöglichkeit, deshalb mußte ferner noch eine statistisch verwertbare Methode der Beispiel-Auswahl angewandt werden, die möglichst gleichbleibend durchführbar sei. Mit den damals noch nicht so weit entwickelten technischen Fähigkeiten computergestützter Analysen ist diese Vorsichtsmaßnahme verständlich, dürfte aber heute eine weit geringere Rolle spielen. Natürlich stehen einem Autor heute, wenn er sich „verstecken" will, dieselben Computerdienste zur Verfügung, weshalb sich wie immer mit dem technischen Fortschritt auch die Schlupflöcher in gleichem Maße vervielfältigen, wie man glaubt, sie einschränken zu können. Fälscher und Kritiker standen sich schon immer ganz besonders nahe. Da ich aber nur im Sinn habe, die Methode für unsere geschichtliche Analyse rückwirkend, besonders bezüglich der Renaissance-Autoren, anwendbar zu machen, können wir den Fall moderner Mystifikationen hier beiseite lassen.

Beispiele der Anwendung

Die Fomenkos wandten ihre Methode für einen erstaunlich weiten Bereich von russischen Literaturwerken an, beginnend im 18. Jh. mit sechs Autoren (von Tschulkow bis Krylow), im 19. Jh. mit neun Dichtern von Gogol bis Tolstoi und im 20. Jh. mit weiteren acht von Gorky bis Scholochow. Eine der wichtigen Erkenntnisse war, daß ab einer ausreichenden Menge von Wörtern, hier 16.000, eine signifikante Häufigkeit ihrer Verwendung als Kurve erkennbar gemacht werden konnte. Die Liste von neun untersuchten Eigenheiten betrifft Sprachpartikel, Anzahl der Silben in einem Wort und der Wörter in einem Satz. Daraus ergab sich schließlich, daß nur eine Gruppe tatsächlich als Invariante nutzbar zu machen war, während die anderen höchstens in ihrer Kombination gewisse Aussagen zuließen. Diese Invariante betrifft die „kleinen" Wörtchen, besonders die Häufigkeit der im Russischen sehr wichtigen „in" und „nicht".

Tatsächlich zeigen die beiden Autoren mit statistischer Relevanz, daß Scholochow nicht den „Stillen Don" geschrieben haben kann, und auch, daß es möglicherweise sein Zeitgenosse Fjodor D. Kryukow gewesen sein könnte, der damals in Rußland noch weitgehend unbekannt war und von dem nicht ausreichend Textmaterial zwecks Analyse zur Verfügung stand.

Aufgabenstellung für klassische Sprachen

Wer sich für diese Forschungsmöglichkeit und die von Fomenko sen. erarbeitete statistische Methode interessiert, sollte diesen Beitrag in Fomenkos Buch unbedingt lesen. Die beigegebenen Tafeln und Kurven sprechen für sich. Ich möchte gerne anregen, daß sich im Laufe der Zeit – mit dem Vorhandensein einer großen Zahl elektronisch erfaßter und zugänglich gemachter Texte, die in der Renaissance gedruckt wurden – junge technisch begabte Geschichtsanalytiker in dieser Weise an der Arbeit beteiligen und so die Verbindungslinien zwischen den „Herausgebern" der antiken Werke und den tatsächlichen Autoren aufzeigen. Unsere bisherige Betrachtungsweise der Renaissance-Werke war weitgehend künstlerisch bestimmt, vertraute also auf ein gewisses Empfinden für Stil und geistige Voraussetzung einer Person, was nur ansatzweise Ergebnisse erzielen konnte, während eine mathematisch-naturwissenschaftliche Untersuchung eine weit größere Zahl von Menschen von der Richtigkeit unserer Vermutungen überzeugen könnte.

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Uwe Topper, Berlin

Chronologiekritik und Geschichtsanalyse in den romanischen Bereichen

Eine Abgrenzung der verschiedenen europäischen Regionen in Sachen Geschichtsanalyse ist zwar künstlich, aber dennoch erkennbar. Es geht vermutlich um die Sprachbarriere, der die einzelnen Autoren unterliegen.

Durch die unermüdliche Arbeit als Übersetzer und Vermittler der russischen Geschichtsanalytiker hat Eugen Gabowitsch unserem Arbeitskreis die osteuropäischen Ideen und Veröffentlichungen nahegebracht und uns auch auf dem Laufenden gehalten über die neuesten Entwicklungen dort. Meine eigenen Bücher, die ins Ungarische, Bulgarische und Russische übersetzt wurden, haben den umgekehrten Brückenschlag begonnen.

Unsere Verbindungen in den englischen Sprachraum sind weniger intensiv gewesen, fehlten aber nicht. Zahlreiche unserer Artikel sind ins Englische übersetzt und auf Internetseiten auffindbar. Die Londonreise, die Christoph Marx, Eugen Gabowitsch und der Autor im November 1998 zum ISIS-Treffen unternahmen, war ein weiterer Schritt, die deutsche Geschichtsanalyse in Sachen Mittelalter auch dort bekannt zu machen, was ein aufmerksames Publikum fand, denn die ISIS (International Society für Interdisciplinary Studies) hat nur in den Bereichen der Geschichte des Nahen Ostens wie auch der antiken Griechen Resultate für eine neue Chronologie vorgelegt.

Leider wurde das romanische Gebiet Westeuropas bisher wenig beachtet. Diesem Mangel will die vorliegende Besprechung abhelfen.

Seit mehreren Jahrzehnten arbeitete in Frankreich ein selbständigen Denker, der zwar nicht genau unsere Richtung eingeschlagen hat, aber doch als Parallelerscheinung zu unserer Arbeit herauszuheben wäre: Jacques Touchet in Carcassone. Der Name ist hier selten gefallen, darum will ich über seine Arbeit kurz berichten.

Einer der frühen Querdenker mit Durchblick, auf den sich Touchet häufig beruft, ist der etwas geheimnisumwobene Litauer Oscar Venzeslas de Lubicz-Milosz (1877–1939), der um 1920 in Paris Bücher über die Ursprünge des jüdischen Volkes aus Spanien und über die Apokalypse des Johannes, die er ganz eigenartig entschlüsselte, veröffentlicht hat. Touchet griff vor allem die Idee auf, daß die Iberer im Grund Semiten sind und unsere Kenntnisse der Bibel von dorther stammen. Mit ausführlichen Nachweisen über die Ortsnamen und die Entstehungsweise der heiligen Texte konnte Touchet darlegen, daß diese Ideen wissenschaftlich vertretbar sind. Er gründete Ende der 70-er Jahre eine Zeitschrift, die recht große Verbreitung fand und bis heute weiterbesteht, wenn auch in letzter Zeit nur noch selten Exemplare erschienen sind: "Mediterranea". Sie kam lange Zeit alle drei Monate heraus und enthielt hochinteressante Artikel für ein neues Geschichtsbild des Mittelmeerraumes, außerdem Gedichte, Nachrichten aus der Welt der Archäologie und Historie, Streitschriften mit Gegnern, Witze und sogar gegenwartsbezogene Gesellschaftskritik. Ich fand das sehr bemerkenswert und habe den alten Herrn vor einigen Jahren auf seinem Landsitz bei Carcassonne in Südfrankreich besucht, wo er mir in seiner sehr reichhaltigen Bibliothek viele Stunden lang seine Ideen auseinandersetzte. Besonders das, was ich in meinem Buch "Das Erbe der Giganten" zum Ausdruck gebracht hatte, begeisterte ihn, so daß er eine Zusammenarbeit anstrebte. Unsere neuere scharfe Abkehr von der schwärmerischen und künstlerischen Deutung der Frühgeschichte, wie er sie pflegt, hat er allerdings nicht begriffen.

Als ausgezeichneter Kenner moderner und antiker Sprachen, besonders auch des Hebräischen, hat er einen nicht leicht beiseitezuschiebenden Standpunkt entwickelt, der in seinem Buch "La Grande Mystification" von 1992 ausführlich dargelegt ist. Seine Verknüpfung von iberischen Runen mit phönizischen Buchstaben deckt sich stellenweise mit den von mir aus ganz anderem Umfeld, nämlich von den Felsbildern her, gewonnenen Erkenntnissen. Aus den von Touchet erschlossenen Zusammenhängen müßte man eigentlich dahin kommen, daß die klassische Aufteilung der Sprachen in semitische, hamitische und japhetitische (oder indogermanische) keine Berechtigung hat und heute ganz anders gesehen werden muß. Trotz des großen Überblicks ist es aber Touchet nicht gelungen, auch eine völlig neue Sicht der Zeiträume darzustellen.

Obgleich ich täglich französisch lese und meine Augen stets offenhalte, ist mir doch nie ein Artikel oder Buch begegnet, in dem auch nur andeutungsweise die Chronologiekritik behandelt würde, wie sie nun seit mehr als zwei Jahrzehnten in Deutschland betrieben wird. Nicht einmmal Velikovskys Schriften sind in Frankreich wohlwollend aufgenommen worden. Durch einen Biologen erhielt ich nun die Bestätigung: François de Sarre in Nizza an der Mittelmeerküste. Er schreibt das erste französische Buch, das die deutsche Sicht der Geschichtsanalyse in Frankreich bekanntmachen wird. Vermutlich ist auch hier wieder die Sprachbarriere das eigentliche Hindernis gewesen. De Sarre ist zweisprachig, oder sogar dreisprachig, wenn man neben dem Französischen und dem Deutschen auch noch seinen heimatlichen pfälzischen Dialekt dazurechnet, den er durchaus auch schreibt.

Wie gesagt, er ist Biologe und hatte bis vor kurzem ein kontrovers angesehenes aber durchaus wissenschaftliches Institut geleitet, das CERBI (Centre d"Ètudes et de Recherches sur la Bipédie), und gab die mehrmals im Jahr erscheinende kleine Zeitschrift "Bipédia" heraus, in der es um die Ursprünglichkeit der Zweibeinigkeit des höheren Säugetierstammes geht. Das erste Exemplar, das ich erhielt, die Nr. 14 von März 1997, zeigte mir, daß hier ein Wissenschaftler mit den logischen Gedanken seiner Zunft versucht, die eingefahrenen Wege des Darwinismus zu verändern; Edgar Dacqué zähl er zu seinen Vorarbeitern. Über diesen auch für uns grundwichtigen Geologen aus München einigten wir uns dann recht schnell und begannen einen Meinungsaustausch, der darin gipfelte, daß de Sarre einen Artikel von mir ins Französische übersetzte und beide Fassungen, die deutsche und die übersetzte, in seiner "Bipédia" veröffentlichte.

De Sarres Pionierarbeit war sein Buch von 1999 über die Entstehungsgeschichte des Mittelmeeres, "Als das Mittelmeer trocken war", wo er sich als fähiger Verarbeiter der von Spanuth, Muck, Horst Friedrich und mir sowie auch von Touchet und anderen vorgeschlagenen Szenarien erwies und einen Schritt weitergelangte als die geologische Forschung bisher. Dazu befähigte ihn besonders sein Wissen als Biologe. Statt der vielen Millionen Jahre, die in geologischer Sprache immer noch angewandt werden, wenn es um so drastische Vorgänge wie die Bildung des Mittelmeeres geht, zieht de Sarre nun in Betracht, daß das alles in wenigen Jahrtausenden geschehen sein könnte. Diese chronologieumstürzenden Ansätze sind folgerichtig vorgebracht und dürften den akademischen Geologen Schwierigkeiten bereiten.

So ist mit diesem Zweisprachler ein erster Schritt gelungen, den Rhein zu überspringen.

Inzwischen ist ein neues Manuskript von de Sarre fertigegestellt, das ich sorgfältig durchgesehen habe. Der Verleger hast leider in letzter Minute die Arbeit abgelehnt, was vermutlich finanzielle Gründe hat. Damit wird der Versuch, auch die Franzosen endlich in die wichtige Arbeit an der Chronologie einzubeziehen, wieder einmal hinausgezögert.

Da es tatsächlich am Sprachproblem zu hängen scheint, ob sich eine Idee in einem Nachbarland ausbreiten kann, muß hier auch die unermüdliche Arbeit von Karin Wagner erwähnt werden, die zwar bisher noch nicht gedruckt in Erscheinung getreten ist, aber elektronisch schon viele anregende Ideen verbreitet hat, die hoffentlich bald auch Früchte tragen werden.

Soweit zur französischen Barriere, in Italien steht es nicht besser. Aufschlußreich ist, wie der angesehene italienische Historiker Luciano Canfora mit seinem Buch über die verschwundene Bibliothek (La biblioteca scomparsa 1986, deutsch 1998) in humorvoller doch unwiderlegbarer Kritik die Berichte von den großen Bibliotheken des Altertums mit ihren Hunderttausenden von Schriftrollen als Märchen aufdeckt. Glauben Sie, daß irgend jemand sich daran gestört hätte?

Nun zur spanisch-portugiesischen Literatur, die uns noch etwas ferner zu sein scheint. Die Pyrenäen grenzen ja eine Halbinsel ab, die schon immer gern allein sein wollte. So sind auch die dortigen Bemühungen uns hier kaum zu Ohren gekommen, es sei denn durch meine grenz- und sprachüberschreitenden Vorstöße. Ich will hier vor allem vier Männer erwähnen, deren Bücher durchaus ins Deutsche übersetzt werden sollten.

Da ist zuvorderst der von mir schon häufig genannte Ignaz Olagüe, (1903–1974), der auch französisch schrieb, weil das im Exil in der Francozeit nötig war. Er hatte also schon eine Barriere durchbrochen, und das dürfte zu seiner Popularität beigetragen haben. Ein weiterer Pluspunkt war seine Wirkung auf die Emanzipationsbewegung in Spanien, die von Victoria León de Sendón erkannt und propagiert wurde.

Olagüe fühlte sich als Schüler von Oswald Spengler und damit einem Geschichtsmodell verpflichtet, das eine neue Sicht der spanischen Geschichte ermöglichte. Das wurde nicht gleich erkannt, ist aber heute durch eine sehr ordentliche Neuausgabe seines Hauptwerkes gewürdigt worden: "La Revolución islámica en Occidente", zuerst 1974 in Barcelona erschienen, nun im September 2004 in Córdoba erstmals seit dreißg Jahren wieder aufgelegt. Das hing vermutlich auch mit meiner Propagierung dieses Werkes zusammen, die ja bis ins ferne Moskau Wellen geschlagen hat, wie man in dortigen Internetseiten nachlesen kann.

Aber Olagüe hatte – so umstürzend seine neue Sicht auch ist – den Sprung zur Korrektur der Jahreszahlen noch nicht geschafft. Und das ist ja gerade das aufregend Neue an unserer Arbeit. Olagües Durchbruch gehört noch zur weltanschaulichen Erneuerung, einer Geschichtsanalyse, die schon Spengler gelang, ohne daß die schon Jahrhunderte vorher erfolgte Erkenntnis von Hardouin und anderen Jesuiten, nämlich daß die Geschichte vor 1500 reine Erfindung sein muß, diesen erlauchten Geistern bekannt gewesen wäre. Das läßt einige Rückschlüsse zu, die Olagües Arbeit heute veraltet erscheinen lassen.

Überraschend war für mich die Arbeit des etwas jüngeren Julio Caro Baroja, (1914–1995), eines anerkannten Anthropologen aus berühmter Famile, der 1991 eine ganz besondere Art der Geschichtsfälschungsaufdeckung vorstellte: "Las falsificaciones de la historia". Er durchbrach das katholische Vorurteil und verblüffte seine Leser mit dem Gedanken, daß die gesamte Geschichtsschreibung, die im 16. und 17. Jahrhundert in Spanien theologischerseits (und das heißt: allein) gültig war, ein reines Lügengespinst ist, was sogar alle Beteiligten damals wußten. Es handelt sich um den Thubalismus, eine besondere Spielart theologischer Erfindung, die aber den orientalischen Geschichten an Fabulierkunst nicht nachsteht. Berosos und Manethon sind zweckbedingte Literatur mit ihren krausen Zeittafeln; ihre Entstehung kann lückenlos nachgewiesen werden. Indem nun Caro Baroja diesen Umstand sehr deutlich herausstellt, wertet er gleichzeitig die für Ägypten und Mesopotamien geltenden Geschichtsschreibungen ab als Erfindungen einiger weniger Personen des 16. Jahrhunderts. An vorderster Stelle nennt er den Italiener Annius von Viterbo, der zwar den Thubalismus nicht allein erfunden hat, – Josephus Flavius und Augustinus waren Mithelfer – aber doch mit seiner Autorität und seiner Verbeugung vor den spanischen Herrschern eine Historie in die Welt setzen konnte, die bis heute nur teilweise ausgejätet wurde. Albert Krantz und Isaac Casaubonus gehören zu den Mittätern in Mitteleuropa, die diese Fälschungen unterstützten. Unter dem Deckmantel der Sagen haben sich historische Nachrichten mitverbreitet, die heute noch als echt gelten, wogegen man den Thubalismus schon im 18. Jahrhundert aussortiert hat.

Caro Baroja merkt in diesem Zusammenhang an, daß derartige Traditionen, wie sie die Thubalisten produzierten, im Gegensatz zu denen des 19. Jahrhunderts stehen und "schwer zu sagen ist, was historisch gesehen falscher ist." Dieser Durchblick, der aus dem gesamten Buch spürbar wird, dürfte die Grundstimmung auch unserer Geschichtsanalyse sein. Wann er in Spanien zur Lehrmeinung wird, ist wohl eine Frage der Zeit. Mit Berufung auf den gelehrten Caro Baroja ließe sich der Wandel beschleunigen.

Die Thematik von Caro Baroja ist in ausführlicher Weise auch schon von dem sehr gebildeten Anthony Crafton (Forgers and Critics, 1990) in englisch dargestellt worden, wobei er sich mit der Person des Annius von Vtierbo beschäftigt, ohne jedoch zu erkennen, daß dieser Autor um die 1500-er Wende um einige Jahrzehnte später angesetzt werden muß, wie ich in meinem entsprechenden Kapitel in „KalenderSprung" (2006, S. 201 ff) begründe. Es liegt bei Olgüe, Caro und Crafton dieselbe Kurzsichtigkeit vor, die allen neueren geschichtsanalytischen Versuchen anhaftet: unkritische Übernahme der konventionellen Chronologie.

Bemerkenswert finde ich, daß das Buch von Caro Baroja gerade in dem Moment erschien, als die deutsche Mittelalterthese erstmals zur Sprache kam, 1991. Im selben Jahr ist der Auslandsdeutsche Rainer Daehnhardt mit einer anders gearteten Aufdeckung in Lissabon hervorgetreten: Er hielt einen Vortrag im Gulbenkian-Institut (etwa der Berliner Urania vergleichbar), der mit so großem Interesse verfolgt wurde, daß er schon vor Beginn in einen größeren Saal verlegt werden mußte und später als Buch gedruckt wurde. Dies war just im selben Jahr 1991, in der Niemitz und Illig die mittelalterliche Chronologie aufbrachen. Das Buch ist kürzlich wieder erschienen, diesmal mit französischer Übersetzung zugleich, so daß es von einer größeren Anzahl von Lesern aufgenommen werden kann.

Daehnhardt wußte bis vor kurzem nicht, daß dafür in Deutschland Interesse besteht. Erst durch den Briefaustausch mit mir ist er auf die neue Dimension der Geschichtslügenaufdeckung in Deutschland aufmerksam gemacht worden. Das bedeutet zugleich, daß seine Forschungsergebnisse, da unabhängig von uns erfolgt, einen gewissen Eigenwert besitzen. Er hatte festgestellt und mit seinem umfangreichen archäologischen Wissen, das er auf vielen Reisen gewonnen hat, auch untermauern können, daß der Templerorden keineswegs kurz nach 1300 vernichtet worden war, wie die allgemein geglaubte Geschichte verkündet, sondern um 1500 noch in voller Blüte gestanden haben muß. Die portugiesischen Entdeckungsreisen sind Frucht der Templer, ihrer Seefahrerkenntnisse und weltweiten Verbindungen. Der chronologische Sprung über zwei bis drei Jahrhunderte ist hier unverhüllt dargestellt. Für mich ist das eine schöne Bestätigung, da ich in meiner Untersuchung der Gemälde von Bosch diesen Gedanken an der Person Heinrich des Seefahrers ausgesprochen hatte (ebenfalls veröffentlicht zuletzt in „KalenderSprung" 2006).

In meinem ersten Buch zum Thema, "Die Große Aktion" (1998), hatte ich schon den portugiesischen Priester Miguel de Oliveira erwähnt, der auf den Forderungen des 2. Vatikanischen Konzils der 1960er Jahre fußend die Heiligenmärchen angegangen war. In seinem 1964 in Lissabon erschienenen Buch "Legende und Geschichte" versucht er, die beiden Bereiche zu trennen. Er demaskiert zum Beispiel die Geschichtlichkeit des Schutzpatrons des spanischen Königreiches, Santiago, als frommen Unfug. Keine tausend Jahre könne diese Legende schon bestehen, weist er an Hand des kirchlichen Materials nach, und verkürzt damit die Legende um ein ganzes Jahrtausend. Das ist mutig und hätte viele Nachfolger beflügeln müssen, blieb aber eher eine Einzeltat. Oliveira beschäftigte sich auch mit dem Thubalismus und konnte mir manchen wertvollen Fingerzeig geben, dem nachgehend ich – ähnlich wie Caro Baroja, den ich damals noch nicht kannte – diesen wüsten Knäuel spanischer Geschichtsschreibung durchschauen lernte.

Tatsächlich sind ja die Heiligenlegenden nicht irgendwelche netten Geschichtchen für Gläubige, die uns heute nichts mehr angehen, sondern Grundlage und Rückgrat der Geschichtsschreibung seit dem 16. Jahrhundert geworden. Sehr viele angeblich historische Ereignisse sind irgendwie an die "Goldene Legende" gebunden. Und die Schöpfer der heutigen Heiligengeschichte mit allen Märtyrern und Konzilienberichten waren Papebroich und Baronius; ihr Werk wird bis heute in Belgien fortgesetzt. Gegen diese Erfindungen hat sich der Priester Oliveira aufklärend gewandt.

Allen Kunstliebhabern und Historikern ist immer wieder aufgefallen, daß es architektonische und bildnerische Parallelen zwischen der Alten und der Neuen Welt in Fülle gibt. Denken wir nur an die Pyramiden der Mayas in Mittelamerika und vergleichen sie mit den ägyptischen. Wenn solche Gebäude und alles was an Einzelheiten dazugehört – bis hin zur Hieroglyphenschrift – völlig unabhängig voneinander entstanden sind, einfach weil der menschliche Geist sehr beschränkt ist und immer wieder auf dieselben Muster zurückfällt, dann haben wir keine Probleme mit der Chronologie. Dann konnten alle Völker zu allen Zeiten gleichartige Schöpfungen hervorbringen. Wenn man aber die Diffusionstheorie beweisen kann, und das ist ganz einfach: man braucht nur darauf hinzuweisen, daß in Pharaonenmumien Nikotin und Kokain gefunden wurde, was ja nur in der Neuen Welt wuchs, also mit Schiffen hinübergebracht werden mußte, womit dem Austausch auch geistiger Güter keine Grenzen gesetzt sind, dann ergeben sich unüberwindliche Schlußfolgerungen: Die Ägypter hörten angeblich vor zweitausend Jahren auf, Pyramiden zu bauen, und die Mayas begannen vor rund tausend Jahren erst damit. Man braucht aber keine tausend Jahre, um mit einem Segelboot den Atlantik zu überqueren. Hiermit ist die chronologische Diskrepanz zwischen den Amerikanisten und den Ägyptologen offen dargelegt. Da die Amerikanistik, gestützt auf ihre aufwendigen Untersuchungen des Mayakalenders, keine Umdatierung vornehmen will, bleibt den Ägyptologen nur der unvermeidliche Schluß, die auf Manethon und Berosos und die Bibel begründeten Jahreszahlengerüste fallenzulassen, was Heinsohn seit mehr als 15 Jahren fordert. Die vorwiegend spanisch schreibenden Kenner der Mayakultur müßten dies als Ansporn zur Neuschreibung herausbringen.

Für mich war es immer erstaunlich, daß die so früh schon laifizierten Franzosen aus ihrer Aufklärung keine Folgerungen gezogen haben und heute jene Geschichtsmärchen glauben, die sie einst selbst miterfunden hatten, auch wenn zahlreiche Kritiker damals deutlich dagegen eingeschritten waren (Jean Hardouin, Jean de Launoy, Barthelemy Germon und weitere Jesuiten, siehe Topper 1998). Andererseits hatte ich den Spaniern zugute gehalten, daß sie durch die kirchliche Unterdrückung wohl nur schwer umdenken würden. Hier liegt der Fall jedoch etwas anders. Im Gespräch mit Archäologen erfuhr ich immer wieder, daß man in Spanien – das ist man wohl seiner Besonderheit schuldig – eine durchaus eigene Chronologie der Frühgeschichte vertritt, womit die allzu großen Unterschiede zwischen Lehre und Bodenfunden geringer werden. Als Überrest des Thubalismus wird nämlich die phönizische Kolonisierung Spaniens sehr spät angesetzt, frühestens im 7. Jh. v.Ztr., und damit um ein halbes Jahrtausend später als die entsprechenden Vorgänge für die orientalische Geschichte gefordert werden. Die Überwindung des Thubalismus im Barock hatte etwas Gutes für Spanien, dem dadurch rund zweitausend Jahre „Historiographie" des Orients erspart blieben. Wenn ich heute dort die Kritik an den hohen Jahreszahlen vortrage, ernte ich mitleidiges Lächeln. Bei uns hier in Spanien, sagt man mir, gibt es nicht diese überzähligen Jahrtausende wie im Orient; bei uns beginnt Geschichte tatsächlich erst mit den ›orientalisierenden‹ Einflüssen, also den Handelshäfen der Ägypter, Phönizier und Griechen im 7. Jh. vor Chr. Und echte Geschichte beginnt hier erst mit den Römern.

Literaturnachweise

Canfora, Luciano (1986): La biblioteca scomparsa (deutsch: Die verschwundene Bibliothek, 1998)

Caro Baroja, Julio (1991): Las Falsificaciones de la historia (en relación con la de España) (circulo de lectores, Barcelona, 218 S.)

Daehnhardt, Rainer (1991): Missão Templária nos Descobrimentos – Les Templiers et les Grande Découvertes (zweisprachig, Quipu; Lissabon 1999)

Olagüe, Ignacio (1950): La decadencia de España (4 Bde)
(1969) Les Arabes n"ont jamais envahi l"Espagne
(1974) La revolución islámica en occidente (Barcelona)

Oliveira, Miguel de (1964): Lenda e Historia (Lissabon)

Sarre, François de (1999) : Als das Mittelmeer trocken war (Hohenpeißenberg)

Topper, Uwe (1977): Das Erbe der Giganten (Olten, u.ö.)
(1998): Die ›Große Aktion‹ (Tübingen)
(2006) KalenderSprung (Tübingen)

Touchet, Jacques (1992): La Grande Mystification (Carcassonne)

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Uwe Topper, Berlin

 

Die Bleitafeln von Granada, die ich (in "Die Große Aktion", 1998, S. 81, nach der Lektüre von Mayans 1742) besprach, können als klassisches Beispiel für eine mißlungene und dennoch erfolgreiche Fälschung dienen. Nachdem ich kürzlich das hervorragende Buch von Caro Baroja (1991, hierzu besonders Teil 3) entdeckt habe, das sich mit Fälschungen aller Art in der spanischen Geschichte beschäftigt, liegt der Sachverhalt noch deutlicher zutage. 1588 wurden angeblich in dem "phönizischen" Turm Turpiana (in Wirklichkeit Minarett der ehemaligen Hauptmoschee von Granada), der dem Bau der neuen katholischen Kathedrale weichen mußte, Reliquien, Bleitafeln, Münzen und Schriftstücke gefunden, die eine besondere Rolle im politischen Streit um die Ausbreitung des Katholizismus spielen sollten. Der Erzbischof, der den Fund aus Vernunftgründen ablehnte, starb sehr schnell und wurde durch Pedro de Castro ersetzt, der zur Durchsetzung dieser Politik eine Schule einrichten ließ, die bis heute fortlebt. Er ließ 1595 und 1597 weitere Funde in den Höhlen des Sacromonte (Heiliger Berg) machen, die das Vorhaben unterstützten. Es ging um die ganze Linie der katholischen Lehre, die hier festgelegt werden sollte. Entgegen der ausdrücklichen Weisung aus Rom wollte die spanische Kirche eine frühe Christianisierung Spaniens vor vielen Jahrhunderten durch einen Jünger Jesu, St. Jakob (Santiago von Compostela), historifizieren, wobei man ihm sieben Schüler zur Seite gab, die alle aus dem islamischen Umfeld zum Katholizismus bekehrt worden sein sollten. Selbstverständlich mißfiel das dem italienischen Papst, denn er sah in Santiago einen sich verselbständigenden Machtanspruch der spanischen Kirche, die noch immer die Geschicke der Kurie mitbestimmte. Für uns wäre hier wichtig anzumerken, daß heute St. Jakob längst zur geschichtlichen Figur geworden ist, die sieben Jahrhunderte vor die Islamisierung Spaniens gesetzt wird. Mit anderen Worten: Die Erfindung hatte Erfolg, sie wurde nur durch die neue Chronologie in einer Weise koordiniert, die den spanischen Theologen damals noch ungeheuerlich erschienen sein muß.

Es ging nicht nur darum, eine frühe Christianisierung Spaniens schon vor der Zeit der islamischen Herrschaft zu verkünden, sondern vor allem die in Andalusien und im Königreich Granada verbliebenen Moslems sowie die Neugetauften mit der Kirche zu versöhnen, indem ihnen vorgemacht wurde, daß Islam und Christentum sich gut miteinander vertragen, ja ineinander überführbar seien, was eben die ›heiligen apostolischen Jünglinge‹, St. Jakob und seine Jünger, einst vorgemacht hatten. Dafür brachten die Bleitafeln Texte in Arabisch, aus denen die Rechtmäßigkeit dieser neuen Doktrin hervorging und sie als schon lange gelehrt erscheinen lassen sollte. Kurioserweise waren die Tafeln in eigenartigen Buchstaben verfaßt, die als "hispano-béticos" bezeichnet werden; ich würde die Lettern eher Aramäisch oder verunstaltetes Hebräisch nennen, zum Teil sind es phantasievoll orientalisierte lateinische Buchstaben (Abb. 25). Die 18 Schriftstücke waren echt Arabisch geschrieben von zwei Moslems: dem gebildeten Arzt und Übersetzer des Königs, Alonso del Castillo, und dem einfacheren Miguel de Luna, ebenfalls Arzt und Übersetzer, der eher dialektal schrieb. Das Unternehmen hatte höchste Billigung seitens des Hofes und der Jesuiten.

Unglücklicherweise waren die historiographischen Fehler im Text so offenkundig, daß sich sogleich einige Gebildete dagegen sperrten, auch wenn sie nicht auf Seiten des Vatikans standen. Der Streit wogte sehr lange, weit über hundert Jahre.

Miguel de Luna, der weniger das klassische Arabisch beherrschte, um so mehr die ländlichen Legenden kannte, schrieb übrigens 1592 eine wichtiges Buch, das nicht ohne Folgen blieb: "Die wahrhaftige Geschichte von König Rodrigo, in der der Grund für den Verlust Spaniens und dessen Eroberung durch den Herrn aller Gläubigen, Almanzor, König von Afrika und Arabien, beschrieben wird." Verfaßt war sie nicht von Luna selbst, das hätte nicht der damaligen Mode entsprochen, sondern "von dem weisen Richter Abulkassim Tarif ben Tariq, gebürtig aus Petra in Arabien." Da haben wir den ganzen Märchenschatz zusammen: Rodrigo, den letzten Westgotenkönig, und die beiden Eroberer Tarif und Tariq, hier in einer Person (was auch verständlich ist, denn Q und F sind Lesefehler, sie schreiben sich in unterschiedlichen arabischen Handschriften gleich), sowie den bekannteren Almansor, der jedoch dreihundert Jahre später lebte und nie König oder Herr der Gläubigen war. Und sogar das rosenrote Petra in Palästina fehlt nicht.

Ein schönes Durcheinander, möchte man sagen! Später wurde die Unkenntnis als volkstümlich bezeichnet, das Ganze schrittweise ›berichtigt‹ (z.B. durch Pedro del Corral) und schließlich die Vorlage vergessen. Der Dramatiker Lope de Vega und andere wichtige Personen ließen sich davon inspirieren und gaben diesen Legenden die historische Weihe. So entsteht Geschichte.

Auch wenn Luna diesen Text verfaßt haben mag, so tat er es sicher nicht allein, und die Einführung des Werkes ins offzielle Geschichtsbild geht nur unter der Annahme, daß zahlreiche Theologen dabei mitgewirkt haben.

Zurück zu den Reliquien und Texten des Sacromonte. In denen wird eine bis dahin unbekannte katholische Kirche im Mittelalter geschaffen und so manche Lehre unterstützt, die gerade jetzt im Entstehen war: die Unbefleckte Empfängnis, das Fegefeuer, zahlreiche Heilige (mit ihren Knochen), antike römische Städte usw. Um die Moslems Andalusiens zu gewinnen, lobt Maria Muttergottes die Araber und ihre Sprache und sagt ihnen eine große Zukunft voraus. Wenn auch nicht alles in Italien geglaubt wurde, in Spanien gelten große Teile davon heute als legitime Geschichte. Dem Papst gelang es zwar, den Erzbischof Pedro de Castro nach Sevilla zu versetzen, wo er fast neunzigjährig 1623 starb, aber die kostbaren Reliquien und Texte waren damit nicht aus der Welt geschafft. Das angestrebte Ziel haben sie nicht erreicht. Die verbliebenen Moslems, reiche und gebildete Menschen, fähige Handwerker und unverzichtbare Bauern, wurden ab 1612 in mehrjähriger Aktion übers Mittelmeer nach Afrika zwangsverschifft, womit der Niedergang der Provinz Granada besiegelt wurde.

Einige Hauptakteure dieser Geschichtsschöpfung wie Roman de la Higuera und seine Gegenspieler habe ich 1998 (S. 79-87) schon beschrieben, hier wäre noch nachzutragen, daß auch der berühmte deutsche Jesuit Athanasius Kircher 1665 als Experte herangezogen wurde und sich für die Echtheit der Funde aussprach. Erstmals erging 1682 eine völlige Aburteilung vom Papst aus, die aber längst nicht alle Lügen beseitigte oder rückwirkend wieder aus den Büchern tilgte. Das wäre unmöglich. 1739 appellierte sogar noch einmal ein Lehrer des genannten Collegiums von Granada an den Papst, die Reliquien und Texte endlich anzuerkennen. Ein Index von Madrid 1844 mußte noch immer ausführlich gegen die Erfindungen einschreiten, denn es wurden weiterhin Schriften mit deren Inhalt verbreitet.

Bis zur Klarstellung 1964 durch Miguel de Oliveira (siehe: Topper 1998, S. 87 ff.) blieb Santiago theologisch auf seinem Thron, und auch heute gilt er noch volkstümlich als der erste Missionar Spaniens sowie als der offizielle Schutzpatron des Königreichs.

((Hierzu wären die Abbildungen 24 a-c aus meinem Buch, S. 86 und 87 einzuscannen, was ich hier nicht tu)).